Gedanken zu Bedingungen und Rhythmen von Natur und Leben
An einem stillen Herbsttag, zwischen moosigem Waldboden und dem Rascheln fallender Blätter, kamen mir Impulse zurück, die nach und nach in mir gereift sind. Gedanken über das Leben auf der Erde. Was macht das Leben oder das Lebendige aus? Was braucht es um so vielfältig, resilient, kraftvoll und dynamisch sein zu können?
Meine Annäherung macht tatsächlich einiges mit mir. Ich spüre einen Teil dieser Lebendigkeit in mir, wenn ich mich ihr nähere. Eine Assoziation kommt auf: das Lebendige ist wie Wasser (eh klar): fließend, beständig, meist unaufgeregt aber kraftvoll. Aber nein, damit ist das Bild unvollständig, denn es ist ja noch viel mehr als das: es ist intentional, es verfolgt Absichten. An dem Punkt überkommt mich Demut und Ehrfurcht vor dieser auf mich gleichzeitig stoisch und verspielt wirkenden Relationalität. Dieser verbundenen Wirksamkeit. Jede Spezies eine neue Spielart des Werdens und Vergehens.
In unserer zivilisierten Welt sprechen wir viel über Nachhaltigkeit, Transformation, Bewusstsein. Doch allzu oft tun wir das aus einem Denken heraus, das zutiefst rational, anthropozentrisch und materialistisch geprägt ist. Unser Verstand ist uns Fluch und Segen zugleich. Und doch glaube ich: Ein wahrhaft nachhaltiges, friedliches und lebendiges Zusammenleben ist nur möglich, wenn wir uns wieder etwas mehr in die natürliche Ordnung einfügen. Ordnung ist dabei kein schönes Wort. Bedingungen, Regeln, Gesetze, Prämissen sind alles technisch und starr wirkende Begriffe, mit denen man dem Leben kaum auf die Spur kommt. Und doch können wir beobachten, dass es bestimmte Vorgänge in der Natur gibt, durch die das Leben auf diesem Planeten möglich ist.
Das Leben scheint auf eine Art im Gleichgewicht zu sein, das alles Lebendige einen Platz im größeren Ganzen instinktiv einnimmt. Jedes Wesen scheint viele Wesen und ist innerhalb und außerhalb seiner physischen Grenzen mit anderen verbunden, ohne sich zwangsläufig dessen bewusst zu sein und wirkt auf seine oder ihre eigene Weise.
Eros als Prinzip der Welt – oder: der Eros des Lebendigen
Leben geschieht in Berührung. Nicht als abstrakter Ablauf, sondern als vibrierendes Zusammenspiel: zwischen Haut und Licht, zwischen Duft und Erinnerung, zwischen Du und Ich. Der Eros des Lebendigen ist kein sexuelles Begehren, sondern ein tiefer, leiblicher Ruf zur Teilhabe. Deshalb ist Verletzlichkeit auch kein Defizit, sondern eine Öffnung: für Begegnung, Anpassung und tiefere Weisheit.
Alles Leben will sich verbinden, will fühlen, will antworten.
In einer Welt, die sich auf Beziehung gründet, ist der Eros der Pulsschlag des Daseins – sanft, wild, offen und fragil zugleich.
Der Mensch als Liebender der Welt
Wir sind nicht hier, um die Welt zu besitzen – sondern um sie zu lieben.
Der Mensch ist kein externer Beobachter, kein rationaler Kontrolleur des Natürlichen.
Er ist ein fühlendes Wesen inmitten eines fühlenden Kosmos.
Wenn wir die Erde bewohnen wie ein Geliebter das Antlitz des Anderen berührt – mit Staunen, Achtung und Zärtlichkeit –, dann beginnen wir zu begreifen, was Würde und Demut sind und wie sehr wir sie brauchen und vermissen.
Nicht durch Distanz entsteht Erkenntnis, sondern durch Intimität.
In dieser Intimität liegt die Rückverbindung: zwischen Mensch und Welt, zwischen Wissen und Weisheit und wieder: zwischen Ich und Du.
Einige Erkenntnisse über das Leben(dige):
Die Erde ist ein endliches System, in dem alles miteinander verbunden und voneinander abhängig ist. Wir sind ein Teil dieses Systems.
Der Tod ist Teil des Lebens, da nur der Tod die Evolution (Entwicklung) auf einem endlichen Planeten ermöglicht.
Die Evolution wiederum ist ein unverzichtbarer Prozess, da die Erde ein dynamisches System in einem dynamischen Kosmos ist. Es ist ein iterativer Prozess, der meist “langsam” verläuft.
Jedes Leben / jede Kreatur ist gleichermaßen wertvoll, wichtig und ein Geschenk des Lebens. In jeder Zelle einer jeden Kreatur steckt ein Götterfunken, der aller Leben kostbar macht.
Jede Spezies, jede Kreatur und jeder Mensch ist Ausdruck einer Lebenskraft, die weit vor uns existiert hat und lange nach unserem Aussterben existieren wird. Wir können sie nicht beherrschen, nicht kontrollieren und nicht besiegen. Wir können sie nur bekämpfen und ihre Manifestationen und Vielfalt (zer)stören.
Das Lebendige organisiert sich selbst – nach Balance, Vielfalt, Fülle. Nicht nach Effizienz oder Kontrolle.
In der Natur geht es nie um die Teile sondern um das Ganze. Es geht nicht um einzelne Personen so wenig wie um einzelne Tierarten etc. Wir machen uns Sorgen um die biologische Vielfalt, und das ist in Ordnung, da wir einen anthropogen bedingten Verlust an Lebensvielfalt erleben, der erschreckend ist. Aber Arten sind seit der Geburt des Lebens auf der Erde ausgestorben, die sich ständig weiterentwickelt und an neue Bedingungen anpasst.
Das Leben selbst strebt danach üppig, kreativ, beständig und in Balance zu sein. Es folgt den Prinzipien der Selbsterhaltung und Selbstorganisation.
Die Erde, die Natur (Gaia) machen sich nichts aus menschlichen Zuschreibungen. Doch ist für mich die universelle Kraft die Liebe und nicht Kampf oder Angst. Sie zeigt sich unter anderem in dem, was wir Kooperation, Kommunikation, Symbiose, Verbundenheit, Vereinigung und Fülle nennen.
Pilze, Bakterien und andere Mikroorganismen sind die ältesten und einflussreichsten Organismen auf unserem Planeten. Sie durchziehen und verweben alle Manifestationen des Lebens.
Leben ist Energie, alles schwingt und verläuft in Wellen, rhythmisch und in Zyklen zwischen Polaritäten und Extremen.
Die Welt besteht aus weit mehr, als das menschliche Auge sieht bzw. die menschlichen Sinnesorgane wahrzunehmen vermögen. Nachrichten, Beziehungen, Intentionen, Gefühle, Impulse, Lebens- und Willenskräfte wirken in allen Organismen. „Form folgt Funktion“, „Gedanken erzeugen Realität“. Das an sich Unsichtbare in allem Lebendigen ist von weitaus größerer Bedeutung als das Stoffliche.
Kein Lebewesen wächst linear. Alles entfaltet sich zyklisch, mit Ruhephasen, Reifung und Rückzug.
Das Maß des Lebendigen ist nicht das "Mehr", sondern das "Genug". Übermaß bringt Ungleichgewicht.
Resonanz ist Grundlage von Beziehung. Lebendigkeit entsteht nicht durch Dominanz, sondern durch Mitschwingen.
Gegen das mechanische Weltbild – und den Verlust der Lebendigkeit als kulturelle Wunde
Das mechanische Weltbild hat uns große Werkzeuge gegeben – und tiefe Wunden geschlagen.
In der Idee, die Welt sei ein Apparat, den man zerlegen und kontrollieren kann, haben wir ihre Seele verloren.
Wir haben gelernt, wie man Wälder vermisst und effizient abholzt und aufforstet – und vergessen, wie man ihnen lauscht.
Wir bauen Systeme – aber vergessen das Singen, das Spielen, das Spüren.
Der Verlust der Lebendigkeit ist keine bloße Umweltfrage.
Er ist ein gesellschaftlicher Mangel an Nähe, an Berührbarkeit, an lebendigem Sinn.
Eine neue Kultur beginnt dort, wo wir uns wieder berühren lassen – vom Leben selbst.
Leben als Gegenüber
Was, wenn Leben nicht nur ein biologischer Prozess ist, sondern ein heiliger Ausdruck?
Was, wenn Gott nicht jenseits der Welt zu finden ist – sondern mitten in ihr?
Im Rauschen der Bäume.
Im rhythmischen Atem des Meeres.
Im aufmerksamen Blick eines Tieres.
In uns selbst – wenn wir wieder hinhören.
Diese Sichtweise ist kein romantischer Rückfall. Sie ist ein Weg zurück in Beziehung(en).
In ein Dasein, das nicht trennt, sondern verbindet.
In dem das Heilige nicht exklusiv – sondern inklusiv ist.
Pantheismus ist vielleicht nichts anderes als ein anderes Wort für Ehrfurcht.
Und eine Erinnerung an das Wesentliche.
Einladung
Wie ein Leben im Einklang mit diesen Bedingungen aussieht, ist nicht in Stein gemeißelt.
Aber wir können es gemeinsam herausfinden.
Ich freue mich über Resonanz, über Weggefährt:innen und über alle, die sich erinnern wollen.
Außerdem begleite ich Menschen dabei, sich diesen Bedingungen wieder zuzuwenden. Nicht, um sich aufzugeben. (Was kann ich allein ausrichten, zumal, wenn das Einzelne nicht so sehr zählt?). Sondern um sich zu erinnern:
An das, was Miteinander wieder lebendig macht.
An das, was Menschsein in seinem Kern meint.
An die gemeinsame Sehnsucht nach Verbundenheit, Sinnhaftigkeit und (Zu)Frieden(heit).
Vielleicht braucht es in dieser Zeit nicht die ständige Neuerfindung.
Sondern eine leise Rückbindung.
An das, was uns trägt – wenn wir lebendig werden, still oder wild.