Conditio vitae
Es gibt viele tolle Ideen und Ansätze für ein nachhaltigeres Leben, für ein anderes, tieferes bewusst-sein, mehr Liebe und Solidarität zwischen den Menschen und zwischen Menschen und ihrer Mitwelt. Und doch komme ich immer wieder und immer mehr zu der Einsicht, dass wir der Illusion anheimfallen die Herausforderungen der zivilisierten Welt mit einem Denken und Handeln lösen zu wollen, die sehr anthropozentrisch, materialistisch und wahrscheinlich auch zu rational sind. So ist unser Verstand uns Fluch und Segen zugleich. Ein nachhaltiges Leben in Genuss der Fülle und Lebendigkeit, welche die Erde zur Verfügung stellt, ist meines Erachtens nur möglich, wenn wir uns die Prinzipien des Lebens wieder mehr verinnerlichen. Es sind eigentlich nicht nur Prinzipien, es sind Bedingungen. Die Punkte der nun folgenden Liste sind nicht neu und könnten um weitere ergänzt werden.
(Einige) Bedingungen des Lebens:
Unsere Erde ist eine Kugel und somit ein abgeschlossenes, endliches System, in dem alles miteinander verbunden und voneinander abhängig ist.
Wir sind ein Teil dieses Systems.
Der Tod ist Teil des Lebens, da nur der Tod die Evolution (Entwicklung) auf einem endlichen Planeten ermöglicht.
Die Evolution wiederum ist ein unverzichtbarer Prozess, da die Erde ein dynamisches System in einem dynamischen Kosmos ist. Es ist ein iterativer Prozess, der langsam verläuft.
Jedes Leben / jede Kreatur ist gleichermaßen wertvoll, wichtig und ein Geschenk des Lebens. In jeder Zelle einer jeden Kreatur steckt das Geheimnis des Lebens, ein Götterfunken.
Jede Spezies, jede Kreatur und jeder Mensch ist ein Teil oder Ausdruck einer Lebenskraft, die weit vor uns existiert hat und lange nach unserem Tod existieren wird. Wir können sie nicht kontrollieren. Wir können sie bekämpfen und ihre Manifestation und Vielfalt (zer)stören.
In der Natur geht es nie um die Teile sondern um das Ganze. Es geht nicht um einzelne Personen so wenig wie um einzelne Vogelarten etc. Wir machen uns Sorgen um die biologische Vielfalt, und das ist in Ordnung, da wir einen anthropogen bedingten Verlust an Lebensvielfalt erleben, der erschreckend ist. Aber Arten sind seit der Geburt des Lebens auf der Erde ausgestorben, die sich ständig weiterentwickelt und an neue Bedingungen anpasst.
Das Leben selbst strebt danach möglichst üppig, kreativ, beständig und in Balance zu sein.
Die Erde, die Natur (Gaia) machen sich nichts aus menschlichen Zuschreibungen. Doch ist für mich die universelle Kraft die Liebe und nicht Kampf oder Angst. Sie (die Liebe) zeigt sich unter anderem in Kooperation, Kommunikation, Symbiose, Verbundenheit, Vereinigung und Fülle.
Pilze, Bakterien und andere Mikroorganismen sind die ältesten und einflussreichsten Organismen auf unserem Planeten. Sie durchziehen und verweben alle Manifestationen des Lebens.
Alles in der Natur arbeitet rhythmisch und in Zyklen. Je mehr wir uns darauf einlassen können, desto besser (Biorhythmus, Jahreszeiten, usw.).
Die Welt ist weit mehr, als das menschliche Auge sieht. Lebens- und Willenskräfte schaffen Organismen (im Sinne von „Form folgt Funktion“), Gedanken erzeugen Realität. Damit ist das an sich Unsichtbare in allem Lebendigen von weitaus größerer Bedeutung als das Materielle.
Wie das Leben eines modernen, zivilisierten Menschen im Einklang mit diesen Bedingungen aussieht ist sicher nicht in Stein gemeißelt. Finden wir es heraus! Ich freue mich über Ideen und über Gleichgesinnte auf dem Weg.
Im Sinne der Herbstwanderung hier noch Goethes Gedicht „Epirrhema“, in dem die Essenz dieses Beitrags bereits enthalten ist:
Müsset im Naturbetrachten
Immer eins wie alles achten.
Nichts ist drinnen, nichts ist draußen;
Denn was innen, das ist außen.
So ergreifet ohne Säumnis
Heilig öffentlich Geheimnis!
Freuet euch des wahren Scheins,
Euch des ernsten Spieles!
Kein Lebend'ges ist ein Eins,
Immer ist's ein Vieles.